Die Stiftung der Glocken
Man schrieb das Jahr 1322, den 28. September. In den Flußauen von
Ampfing bei Mühldorf tobte die letzte große Ritterschlacht auf deutschem Boden. Seit
Wochen waren sich die beiden Heere gegenübergelegen. Friedrich der Schöne von
Österreich wollte König Ludwig dem Bayern die Krone streitig machen. In dieser Schlacht
sollte die Entscheidung fallen. Und es sah nicht gut aus für Ludwig den Bayern, denn die
Obermacht des Gegners war groß. Doch auf der Seite Ludwigs standen edle und kampferprobte
Ritter aus dem Nordgau, unter ihnen auch der wackre Feldhauptmann Seyfried Schweppermann
und der Burggraf von Nürnberg.
Weitab vom Kampfgetümmel, im Nordgau und vielleicht auch im Kloster
Kastl warteten die edlen Frauen der Nordgauritter in Sorge auf die edösende Nachricht
über den Ausgang des Krieges. Sie, Seyfried Schweppermann, König Ludwig der Bayer und
auch Hermann, der gewaltige Abt des Klosters Kastl, hatten Gott in einem Gelübde das
Versprechen gegeben, sie wollten bei einem Sieg eine gewaltige Glocke für die Kirche des
Klosters Kastl gießen lassen. Sie sollte mit ihrem edlen Klang den Dank an Gott für die
Gnade des Sieges weit in die Welt hinausrufen.
"Unter den Gutthätem zur Verfertigung dieser Glocke wird eine
Guttuta von Lotterbach aufgeführt.- 'sie hat viel köstlich Metall von Silber geben'.'(Ignaz
Brunner)
Und Gott war Ludwig dem Bayern und den Nordgaurittern gewogen. Er
schenkte ihnen den Sieg und Ludwig die Königs- und später die Kaiserkrone.
Von der Siegesfeier in Kastl berichtet Ignaz Brunner in seiner Chronik "Das
Merkwürdigste von der Heffschaft, dem Gotteshause und Kloster Kastl im Regenkreise
Bayerns.'-
Im Jahr 1323 am 6. Jänner, dem Feste der Erscheinung des Herrn, kam
König L u d w i g, der Bayer, umgeben von vielen seiner Getreuen und Tapfem, nach Kastel,
und feierte in unserrn alten Gotteshause das D a n k f e s t wegen des bei Mühldorf, im
dennatigen lsarkreise Bayems am 28. September 1322 erfochtenen und in den Annalen unsers
Vaterlandes ewig denkwürdigen Sieges gegen des s c h ö n e n F r i e d r i c h ' s, des
Oesteffeichers, Heer (s. unten Abschnitt lit. Absatz.- Vier Tage ec.).
An diesem festlichen Tage ertönet zum e r s t e n Male die g r o ß
e G 1 o c k e (s. unten Abschnitt 11. Absatz. D i e g r o ß e G 1 o
c k e ec.), zu deren Beischaffung neben Abten H e r m a n n (s. unten Abschnitt lit.
Absatz. Abt Herrnann ec.) und dem Kloster Kastel viele Ritter und Edle, nicht minder L u d
w i g 's Feldhauptmann, Anführer des bayerischen Heeres, S e y f r i e d S c h w e p p e
r m a n n, die ergiebigsten Beiträge gemacht hatten, zur And-Icht und festlichen Freude.
Noch heut ruft dieß bei" underungswürdige Kunstwerk des
Alterthums und ftomme Denkmal der Dankbarkeit für den in erwähnter Schlacht den Bayem
und ihrem allgeliebten L u d w i g verliehenen göttlichen Schutz mit weit hörbarem
majestätischem Klange die Christenschaar zum Tempel des Herm.
An diesem nämlichen Siegesfeste erhob Kaiser L u d w i g den Ort K
a s t e 1 zu einem M a r k t, und verlieh ihm zugleich Wochenmarkts-Gerechtigkeit (s.
unten Jahr 1308 und ff.). "
Auch im Schweppermannspiel wird auf dieses bedeutende Ereignis
verwiesen, wenn Frau Kathrein König Ludwig zuruft, als er sich anschickt, nach Rom zu
ziehen, um sich vom Papst zum Kaiser krönen zulassen:
"Nehmt unsrer Herzen heißes Wünschen mit auf Euren Weg - und
daß der Heimat Stimme Euch geleite und ihr Abschiedsgruß stets tröstlich stärke Euch
in fernem Land, mög heute zum ersten Male feierlich erklingen die große Glocke Kastls -
von des Nordgaus Edetfrauen gestiftet - zum Dank für Gottes Gnade, die, Heff König, Euch
und meinem Seyfried Schweppermann mit allem Heere den Sieg besche,rte! Glück auf die
Romfahrt, König Ludwig - des Bayemlandes Zier und Stolz - schau Euch der Glocke Rufen
nach! Glück und frohe Wiederkehr, Heff Kaiser Ludwig!'
"Auf dem Kirchthurme" so schrieb Brunner, "hängen
fünf Glocken, die wohl zusammenstimmen und von hohem Alter sprechen; sie sind.' die
große Glocke (Stürmerin genannt), die Frauenglocke, die Mittagsglocke, die größere und
die kleinere Meßglocke.
Die Jesuiten aber sollen ein paar Glocken auf dem Thurme ihrer
Kirche zu Amberg aufgehangen und dafür zwei andere hierher gebracht haben.'
Seit dem 14. Jahrhundert hat der harmonische Klang dieses Geläutes das
Leben der Kastler begleitet in friedlichen und kriegerischen Zeiten, bei freudigen und
traurigen Ereignissen, bei Unglücksfällen und Festlichkeiten.
Heute allerdings hängen nur noch vier Glocken auf dem Turm der
Pfarrkirche, denn eine mußte während des 2. Weltkrieges abgeliefert werden. Doch von den
vier vorhandenen ertönten von 1990 bis 1995 nur drei, da eine einen 40 cm langen
Sprung bekommen hatte.
Beschreibung der einzelnen Glocken 1. Die Stürmerin
Die größte Glocke, die sogenannte "Stürmerin" oder
"Kaiserglocke" oder volkstümlich "der Sturmara" hat einen Durchmesser
von 140 cm, mit den Kronbögen ist sie 160 cm hoch. Das Gewicht beträgt 3.300 kg,
also etwa 66 Zentner. Der Schwengel allein soll über 2 Zentner haben.
Nach Feststellungen von Wolfram Menschick, dem Glockensachverständigen
der Diözese Eichstätt, erklingt sie im Ton e.
Ihre Umschrift zwischen vier Reifen in gotischen Majuskeln lautet:
(= Im Jahre des Herrn 1322 ist dieses Werk unter Abt Hermann vollendet
worden, wobei Christus mit uns war.)
Brunner übersetzt: "im Jahre des Heffn 1322 ist dieses Werk
unter dem Abte Hermann mit Christi Beistand vollkommen zu Stande gebracht worden.'
Der Mantel ist mit einem Rautenmuster in großen Formen überzogen, die
durch leicht erhöhte Linien gebildet werden. Am Rand sechsblättrige Rosetten (heute fast
nicht mehr zu erkennen).
2. Die Petersglocke
Die zweitgrößte Glocke, die dem Kirchenpatron Petrus und dem Apostel
Paulus geweiht ist, wird im Volksmund Mittagsglocke genannt.
Sie hat einen Durchmesser von 125 cm und mißt bis zu den Kronbögen
105 cm, insgesamt 122 cm. Sie wiegt 1.300 kg, also 26 Zentner. Sie erklingt im Ton fis.
Ihre Umschrift zwischen vier Reifen lautet:
Im Jahre des Herrn 1312 gegossen. 0 Petrus, oberster Hirte, und Paulus,
gro( ,Wr Lehrer, bittet für uns.)
3. Die Frauenglocke
Die dritte Glocke ist als Frauenglocke bekannt, da sie der Jungfrau
Maria geweiht ist.
Sie hat einen Durchmesser von 115 cm und erreicht eine Höhe von
insgesamt 110 cm, ohne Kronbögen 95 cm. Ihr Gewicht liegt bei 1.000 kg, also 20 Zentner.
Sie ist auf den Ton g gestimmt.
Ihre Umschrift lautet:
(= Gegrüßet seist Du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit Dir, Du
bist gebenedeit.)
In ihrem Alter gleicht sie den beiden anderen, also gegossen um das
Jahr 1320. Sie war fünf Jahre lang verstummt.
4. Die kleine Glocke
Sie wird meist Abendglocke genannt.
Gegenüber den drei übrigen wirkt sie wirklich klein. Bei einem
Durchmesser von 70 cm erreicht sie bis zu den Kronbögen eine Höhe von 65 cm und eine
Gesamthöhe von 75 cm. Sie wiegt etwa 200 kg, also 4 Zentner.
Obwohl keine Umschrift einen Hinweis auf ihr Alter gibt, gilt sie als
die älteste Glocke. Wahrscheinlich wurde sie schon Mitte des 13. Jahrhunderts, also um
1260, gegossen. Sie trägt am Hals zweimal drei Ringe und am unteren Rand einmal drei
Ringe. Ihr Klangwert könnte f sein. Auch sie war sehr gefährdet.
Von der 5. Glocke die während des 2. Weltkrie s al%-eholt wurde
Nach bisherigen Nachforschungen stellt das Kastler Geläute das
älteste vierstimmige Glockenensemble in Deutschland dar.
Das Geläute im Südturm des Eichstätter Domes stammt zwar ungefähr
aus der gleichen Zeit, es umfaßt aber nur drei Glocken. Natürlich gibt es noch einzelne
Glocken, die älter sind, aber als Geläute mit vier Glocken darf man das Kastler Ensemble
als ältestes bezeichnen.
Wann läuten die einzelnen Glocken?
Sicherlich findet es jeder natürlich, daß zu bestimmten Zeiten eine
Glocke erklingt oder mehrere läuten. Aber bei näherem Hinsehen entwickelt sich daraus
eine kleine Wissenschaft, die gar nicht so leicht zu durchschauen ist. Es bedarf schon der
jahrelangen Erfahrung eines Mesners, die richtige Glocke zur richtigen Zeit zu läuten.
In den folgenden, Ausführungen möchte ich versuchen, das Läuten der
vier Glocken zu enträtseln.
1. Die Stürmerin allein ertönt eigentlich nur jeden Donnerstag nach
dem Abendläuten zur Mahnung an die bittere Leidensstunde des Herrn auf dem Ölberg.
Früher war es auch üblich, sie an Fronleichnam und beim Flurumgang zu
den einzelnen Evangelien zu läuten.
2. Der Klang der Frauenglocke begleitet uns während des ganzen Tages
beim jeweiligen "Gebetläuten" am Morgen, am Mittag und am Abend. Am Abend setzt
nach ihrem Verstummen noch kurz die Abendglocke ein. Am Freitag um 1 1 Uhr ertönt sie
zusammen mit der Petersglocke zum Gedenken an das Leiden und Sterben Jesu. Auch zeigt sie
den nicht anwesenden Gläubigen an, wenn sich bei Gotte-sdiensten die hl. Wandlung
vollzieht.
3. Die St.-Petersglocke kündigt uns jeden Samstag um 15 Uhr den
folgenden Sonntag an. Am Sonntag selbst mahnt sie uns eine Stunde vorher und eine halbe
Stunde vor Beginn des Pfarrgottesdienstes zur Eile. Erst 15 Minuten vor Gottesdienstbeginn
gesellt sich noch der gewaltige Klang der Stürmerin dazu. An großen Feiertagen erklingen
eine Viertelstunde vorher alle Glocken.
4. Die Abendglocke läutet jeden Tag abends nach dem Klang der
Frauenglocke den verdienten Feierabend ein.
Sicherlich werden Sie sich fragen: Wann erklingt denn dann das ganze
Geläute? Eigentlich nicht sehr oft. Wie schon angesprochen, an großen Feiertagen 15
Minuten vor Gottesdienstbeginn, weiterhin bei Beerdigungen, wenn sich der Trauerzug von
der Marktkirche zum Friedhof bewegt.
In der Karwoche verabschieden sich die Glocken am Gründonnerstag mit
vollem Geiäute nach dem Abendmahisgottesdienst und kehren am Karsamstag beim Gloria in
der hl. Osternacht wieder mit vollem Klang zurück.
6. Vor den großen Festtagen (Weihnachten, Pfingsten, Kirchweih usw.)
gibt es am Samstag um 15 Uhr noch das sogenannte "Rumleitn". Dabei gibt es
mehrere Möglichkeiten. Es beginnt entweder mit der kleinsten Glocke oder der Stürmerin,
später setzt die nächste ein, gefolgt von der dritten und abgerundet von der Stürmerin
oder der Abendglocke. Nach kurzem vollem Geläute setzen die einzelnen Glocken
nacheinander wieder aus.
Eine andere Möglichkeit wäre, mit dem großen Geläute zu beginnen,
bis zu einer einzelnen Glocke abzubauen und wieder zu vollem Klang aufzubauen.
Auch bei Beerdigungen und bei besonderen Anlässen (Firmung, Weißer
Sonntag usw.) kann man ein vereinfachtes "Rumleitn" hören, wenn vor oder nach
einem vollen Geläute eine einzelne Glocke vorher ertönt oder nachklingt.
7. Zwei Glocken künden uns schließlich noch die Zeit. Ein schwerer
Metallhammer schlägt die Viertel-, Halbe-, Dreiviertel- und volle Stunde an der
Petersglocke an. Die dumpfen vollen Stundenschläge ertönen dann von der Stürmerin.
Der neue St. Petersturm - der neue Glockenstuhl 1952
Über achthundert Jahre hatte der Turm des ehemaligen Klosters den
Wirren der Zeiten und dem Wetter getrotzt, doch in den Jahren nach dem Kriege schien er in
seinem Innersten so erschüttert, daß der Einsturz drohte. Untersuchungen hatten ergeben,
daß er nicht auf gewachsenem Fels gegründet ist, sondern auf Trümmergestein steht.
Seine Westflanke trug eine deutlich sichtbare Ausbuchtung unterhalb des Zifferblatts, die
durch allzu starke Beanspruchung durch das einseitig in der Richtung von West nach Ost
schwingende Geläute herrührte. Die zahlreichen Schlaudem, die besonders an der Westseite
angebracht waren, bewiesen, daß man die Baufälligkeit des Turms schon längst erkannt
hatte.
Der schadhafte Turm mußte teilweise abgetragen und das Fundament
erneuert werden. Die schwierigen Aufgaben, die mit dem Gerüstbau am 2. April 1951
begannen, wurden von der Amberger Firma Brunner und Bachmann unter Aufsicht des
Landbauamtes Amberg durchgeführt. Die einzelnen Quader wurden numeriert, abgetragen, rund
um die Kirche gelagert und später wieder in der gleichen Rei-
Auß , erdem wurden die Schwerpunkte der Klöppel so verändert, daß
ein günstigerer Anschlagpunkt erreicht wurde.
3. Zwischen Kronbögen und Stahljoch kam als Abgrenzung von Metall zu
Metall ein 5 cm starker Holzblock aus Hartholz.
Alle diese Maßnahmen kamen jedoch schon zu spät.
Am 6. März 1990 mußte die Frauenglocke für immer abgeschaltet
werden. Wie schon im Gutachten von 1990 befürchtet, hatte sich durch die jahrelange
falsche Aufhängung und den falschen Klöppelanschlagpunkt das molekulare Gefüge in der
Anschlagstelle so stark verändert, daß sie einen ca. 40 cm langen Sprung bekam. Aus dem
harmonischen Klang war ein Mißton geworden, und ein weiteres Läuten würde zur Folge
haben, daß sich der Riß vergrößern könnte. Die Gefahr, daß die Glocke ganz
zerspringt, war groß.
Aber noch bei einer zweiten Glocke bestand die gleiche Gefahr. Der
Klöppelanschlag bei der Abendglocke - der wahrscheinlich ältesten Glocke - war so
schlingernd, daß kein genauer Anschlagpunkt zustandekam. Breite Schleifspuren waren am
Glockenrand entstanden. Da diese Glocke aber seltener geläutet wurde, hatte man sich
entschlossen, sie weiter in Betrieb zu lassen.
Mit dem Abschalten der Frauenglocke war jedoch die Gefahr für die
übhgen Glocken gestiegen. Die Petersglocke hatte jetzt alle Klangteile der früheren
Frauenglocke übernommen. Ob nicht ihr vermehrter Einsatz auch zu Schäden an ihr selbst
führen würde, war nicht vorauszusehen.
Rasche Hilfe und schnelles Handeln waren notwendig, um Schlimmeres zu
vermeiden.
Nach vielen Verhandlungen wegen der Finanzierung entschloß sich die
Kirchenverwaltung schließlich im Herbst 1995, die Glocken restauderen zu lassen und einen
neuen Glockenstuhl in Auftrag zu geben. Die Finanzierung mußte notfalls die Pfarrgemeinde
übemehmen.
Am Donnerstag, den 2. November 1995 wurden die Glocken abgenommen und
nach Nördlingen gebracht. Gleichzeitig wurde mit dem Aufbau des neuen Glockenstuhls
begonnen.
Am 21. Dezember 1995 konnten die Glocken zum ersten Mal wieder
ertönen, neu gestimmt und mit vollem Klang.