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...... aus “Stätten ungarischer Kultur in Deutschland (Teil 18)

Das Ungarische Gymnasium Burg Kastl

Von der Exilschule zum Europäischen Gymnasium, so hat sich diese ungarische Schule in der bayerischen Oberpfalz in den letzten Jahren entwickelt. Diese kleine, derzeit mit ungefähr zweihundertvierzig Schülern gut ausgelastete Einrichtung hatte in der Tat 1989, mit dem Systemwechsel, unvorhergesehene Identitätsprobleme bekommen. Entstanden 1945 als Lagerschule für geflohene Ungarn und seit 1958 in der uralte Burg oberhalb des Dorfes Kastl angesiedelt, war dieses Gymnasium in der Zeit des Kalten Krieges vom ungarischen Mutterland weitgehend isoliert, denn es befand sich im Land des Klassenfeindes.

Als mit dem Wegfall des Eisernen Vorhangs die Verbindung zwischen Ungarn und Westeuropa wiederhergestellt werden konnte und auch Reisemöglichkeiten kein Problem mehr waren, hatte das Gymnasium Burg Kastl, das in erster Linie der Ausbildung ungarischer und ungarndeutscher Kinder gewidmet war, eigentlich keinen Daseinszweck mehr. Schnell fand man in der Bezeichnung „Begegnungsschule" und dann sogar in der Firmierung „Europäisches Gymnasium" ein nicht unbedingt neues, aber doch erweitertes Profil. Heute ist das Haus eine „staatlich genehmigte Ersatzschule", so die behördendeutsche Benennung, und als Privatschule mit einem anerkannten Abitur wieder auf gefestigtem Kurs.

Zweisprachiger Lehrplan

Das wichtigste Merkmal ist die absolute Zweisprachigkeit in Lehrplan und Unterricht. Ungarisch und Deutsch sind die Basissprachen, zu denen die üblichen weiteren Fremdsprachen wie Englisch, Französisch, Latein, sogar Italienisch, auf Wunsch auch Russisch hinzukommen. Die jungen Menschen, die ein Abitur von Burg Kastl in der Tasche haben, erwarten, so der Schulleiter Georg Kurin (seit 1.1.99 Mirko Keller), im späteren Berufsleben durch die ungarisch-deutsche Doppelsprachigkeit einen Positionsvorsprung. Die meisten Abiturienten haben sich in den letzten Jahren für Studien- und Berufswege im Bereich von Medizin, Jurisprudenz und Wirtschaft entschieden.

Ganz umsonst ist der Aufenthalt in dieser Privatschule nicht. Für jedes Kind müssen pro zehnmonatiges Schuljahr siebentausenddreihundert Mark Schulgeld bezahlt werden. Zwar gibt es einige Stipendien vom Freistaat Bayern und von der evangelischen und der katholischen Kirche, doch verbleibt für die Eltern immer noch ein erheblicher Restbetrag. Gerade für in Ungarn lebende Familien kann das ein fast unüberwindliches Hindernis sein. Immer mal wieder kommen Schüler aus Amerika oder Frankreich nach Burg Kastl. Doch in erster Linie sind hier Ungarn und ungarndeutsche unter sich, wobei seit 1989 auch deutsche Schüler aus der Umgebung von Kastl als Externe aufgenommen werden.

Die katholische Kirche, in früheren Zeiten Eigentümerin der Burg, die auch schon als Benediktiner-Kloster diente und später den Jesuiten und den Maltesern gehörte, ist seit der Zeit Napoleons nicht mehr Eigentümerin; an ihre Stelle trat Bayern. Die Klosterkirche ist zugleich auch Pfarrkirche des Dorfes Kastl. Gefragt nach dem ausgeübten Einfluß des Bischofs auf die Lehrinhalte in diesem Haus, sagt Georg Kurin sinngemäß: „Der ist nicht groß. Wir beten ja sowieso schon viel." Vorbei sind die Zeiten, in denen das Internatsleben weltabgeschieden und in strenger, nur dem Studium und der religiösen Betrachtung gewidmeter Atmosphäre verlief. Der jetzige Leiter des Gymnasiums Burg Kastl legt Wert auf die Feststellung, daß dies eine „ganz normale" Schule ist mit allen „ganz normalen" Problemen, für die man vielleicht deshalb hier eher Lösungen finde, da man durch das Zusammenleben und -lernen unter einem Dach eine besonders gute Kontrolle über die Schüler besitze.

Die gut zweihundert Mädchen und Jungen, die hier koedukativ unterrichtet werden, aber in getrennten Gebäuden wohnen, haben außer der ungarisch- deutschen Zweisprachigkeit keine besonderen Anforderungen zu bewältigen. Als Europäisches Gymnasium gibt Burg Kastl ihnen mehr fremdsprachlichen, geschichtlichen und naturwissenschaftlichen Unterricht, als dies an den herkömmlichen Durchschnittsgymnasien in Deutschland der Fall ist. Dieses Mehr geht nicht auf Kosten der musischen Bildung, die anweisungsgemäß ebenfalls betont werden soll, sondern auf Kosten sonstiger Einstundenfächer. Besonders gefördert wird der ungarische Volkstanz, doch auch Sport- und Musikstunden.

Es gibt keine regulären Schulstunden am Nachmittag, wohl aber eine Hausaufgabenüberwachung, in der heutigen Schülersprache „Studium". Für freiwillige Aktivitäten steht ebenfalls der Nachmittag wie auch der Abend zur Verfügung. So gibt es beispielsweise eine Theatergruppe, die soeben ihren Auftritt beim großen Pfingst-Schulfest hatte. Die Ballade „Toldi" von János Arany stand dieses Jahr, in der Bearbeitung der Schüler selbst, auf dem Plan. Im malerischen Burghof, dem Kreuzgang der ehemaligen Abtei, wird zu solchen Anlässen eine Bühne aufgebaut, und in den Stuhlreihen davor drängen sich Eltern, Verwandte und Freunde.

Sogar Rock-Konzerte finden hin und wieder in diesem romantischen Klosterhof statt. Lehrer als Verbindungsglieder Seit einem Jahr leitet Georg Kurin die Schule. Er ist selbst ein ehemaliger Schüler des Hauses, und sogar seine ungarische Mutter unterrichtete bereits hier. Seine Verbindungen zu Burg Kastl haben also Tradition. Als ehemaliger Erzieher, anschließend als Lehrer für Geschichte und Englisch, ist er einer von sechsundzwanzig Lehrern, denen eine fast gleich große Zahl an unterschiedlichem Hilfspersonal zur Seite steht.

Herkunft und Ausbildung der Lehrer an dieser Schule sind bunt und vielfältig, was den Schülern Kurins Meinung nach zugute kommt. Überhaupt erlaubt die Einstufung als „staatlich genehmigte Ersatzschule" der Schulleitung größere Freiheiten, als die „anerkannten" Schulen besitzen. Das erstreckt sich auch auf die Zulassung der Schüler. So kann es sein, daß in Burg Kastl auch schon mal ein temporär leistungsschwacher Schüler Aufnahme findet, den ein „staatlich anerkanntes" Gymnasium nicht aufnehmen dürfte. Die Erzieher, die die Position der Eltern bei den Schülern vertreten und deshalb auch wechselweise bei ihnen wohnen, heben sich ab von den Lehrern, die nicht im Haus, sondern in der Umgebung wohnen und so ein Verbindungsglied zur Außenwelt bilden. Zweimal täglich kommt ein Bus aus dem Dorf, mit den zwei Schulfahrzeugen können die Schüler flexibel transportiert werden, und die Wochenenden werden ohnehin oft mit Ausflügen in die nähere oder auch weitere Umgebung verbracht.

So gesehen, ist der Grad der Isolation, dem die Internatsschüler auf Burg Kastl ausgesetzt sind, begrenzt. Wer allerdings einmal ins überregionale Theater oder in die Oper will, der muß auf die Ferienzeit warten. Seit dem Systemwechsel haben sich die Zeiten für dieses Gymnasium in vielerlei Hinsicht gebessert. Der derzeitige Leiter ist offenbar sehr an Westkontakten interessiert, sowohl innerhalb Deutschlands als auch ins westeuropäische, ja sogar ins amerikanische Ausland. Auf rein ungarisch-deutscher Ebene sind vor allem das Ungarische Kulturinstitut in Stuttgart sowie das Ungarische Generalkonsulat in München zu nennen. Partnerschaften mit Schulen nicht nur in Ungarn, sondern auch in England und Belgien sollen zu regem Austausch führen, wobei zu hoffen ist, daß dieser Austausch möglichst bald auch auf die Schüler und nicht nur, wie bisher, auf die Lehrer ausgedehnt wird. Immer mal wieder Schüler aus anderen Ländern zu haben, wie beispielsweise aus Italien, Frankreich und - wie erwähnt - den USA, tut das Seine, einen frischen Wind in die Internats- und Klassenräume zu bringen.

In vielen Dingen unterscheidet sich das Leben der Internatsschüler von Burg Kastl nicht von dem „normaler", im Elternhaus lebender Gleichaltriger. An bestimmten Punkten jedoch tauchen Unterschiede auf, vor allem im privaten Bereich. In Viererzimmern untergebracht, ist für diese Jugendlichen ein Rückzug von den bereits im Unterricht erlebten Klassenkameraden kaum möglich. Wenn sie sich mit ihrem Erzieher, dem Elternersatz, nicht verstehen, kann leicht das Gefühl hilfloser Ausgeliefertheit entstehen. Wenn sie sich womöglich sogar in ihrem Denken emanzipieren wollen und anstatt des Religionsunterrichts Ethikstunden fordern, werden sie wahrscheinlich erhebliche Schwierigkeiten bekommen. Für die eher Angepaßten jedoch, die durchschnittlich Begabten, auch die Vertriebenen ist das Gymnasium Burg Kastl eine willkommene Zufluchts- und Vorbereitungsstätte auf ein Erwachsenenleben mit zwei Bezugskulturen.

Eve-Marie Kallen (http://www.elender.hu/pesterlloyd/nr24/kulturm.html)

 

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